Diskriminierung durch Parteien und Gesellschaft

Verfasser: Norbert Sandmann

Die Diskriminierung von Menschen mit Behinderung durch Parteien und Gewerkschaften muss ein Ende haben. 
Der neuste Clou oder besser ausgedrückt die neuste Krönung der Politik ist die Ablehnung mehrerer Anträge zur Herstellung umfassender Barrierefreiheit im Nah- und Fernverkehr und zur Überarbeitung des Gleichbehandlungsgesetzes, sowie zur allgemeinen Barrierefreiheit durch den „Ausschuss für Arbeit und Soziales“.

Fast alle Parteien in der deutschen Parteienlandschaft schreiben sich den sozialen Aspekt auf ihre Fahnen und in ihre Parteisatzungen. Bei den Gewerkschaften sieht es auf Grund ihrer Historie nicht anders aus, sind sie doch der Anwalt der Arbeitnehmerschaft. 
Gerade Politiker betonen in ihren Reden die Notwendigkeit zur Inklusion von Menschen mit Behinderung. Wurden doch in Zeiten des Nationalsozialismus großes Unrecht an Behinderten durch die Aktion T4 begangen. Psychisch Kranke und Menschen mit Lernschwierigkeiten wurden durch Spritzen getötet, mit Motorabgasen vergiftet und als 
„Unwertes Leben“ oder „Unnütze Esser“ herab gewürdigt. Behinderte füllten die Rechenbücher der damaligen Zeit, Schüler mussten Aufgaben lösen bei denen sie die Kosten die durch Behinderte für die Volksgemeinschaft entstehen berechnen mussten. Fast niemand protestierte damals.

Nach dem zweiten Weltkrieg wollten Parteien und Gesellschaft dieses Unrecht wieder gut machen, man besann sich auf die Fürsorge. Von nun an sollten Behinderte gut umsorgt werden, egal ob diese das überhaupt wollten oder nicht. Plötzlich wussten alle was für die Betroffenen gut und richtig war, ohne mit den Menschen zu reden. Lange Zeit nach dem Ende des Dritten Reichs bis in die 1980er Jahre schämte man sich noch für Menschen mit Beeinträchtigungen. Diese galten bis dahin vielerorts noch als minderwertig, egal ob geistige oder körperliche Einschränkung, man wollte diese Menschen nicht sehen und sperrt sie nur allzu oft in Heime und Anstalten. In der Folge hatten sie keine Rechte oder wurden einfach ausgegrenzt.

Ab den 1990er Jahren begann langsam ein Prozess des Umdenkens, man erkannte, dass auch die bis dahin als „Deppen“, „Dorftrottel“ und „Blöde“ bezeichneten Menschen, sowie körperlich Eingeschränkte welche man als Krüppel abwertete, genauso Bedürfnisse, Wünsche und Gefühle hatten wie jeder Andere von uns auch. 
In dieser Zeit wurde nach langer und harter Intervention von Behindertenverbänden wie dem 
Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter e.V. der Artikel 3 des Grundgesetzes „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“ erweitert. Ab 1994 hieß es dann zusätzlich 
„Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“, ein erster Schritt in die richtige Richtung. In den letzten 25 Jahren seit der Erweiterung des Artikel 3 im Grundgesetz hat sich manches zum Besseren gewandelt, leider nicht genug. 2006 dann der nächste Schritt die Verabschiedung der UN-Behindertenrechtskonvention, das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderung, die am 3. Mai 2008 in Kraft trat. Behinderte erhielten nun weltweite unveräußerliche Rechte. Am 26. März 2009 trat die Behindertenrechtskonvention auch in Deutschland in Kraft.

Artikel 19 UN-BRK fordert eine selbstbestimmte Lebensführung und Einbeziehung in die Gemeinschaft. 
Will heißen, ab hier endet das Zeitalter der Fürsorge und beginnt das selbstbestimmte Leben, zumindest auf dem Papier.
 Auch 10 Jahre nach Inkrafttreten der UN-BRK müssen Menschen mit Einschränkungen um jedes noch so kleines verbrieftes Recht lange und nervenaufreibende Kämpfe ausfechten. Inklusion und Barrierefreiheit sind immer noch keine Selbstverständlichkeit. Gerade in Parteien, Gewerkschaften und Vereinen auf lokaler Ebene, in Gemeinden und zum Teil auch in Städten werden Betroffene immer noch als Kostenfaktor gesehen, verweigern Verantwortliche den Betroffenen die elementarsten Grundrechte. Das beginnt bereits bei entsprechenden Zugängen für RollstuhlnutzerInnen, bei Blindenleitsysteme für Menschen mit Sehbehinderung, Bildbeschreibungen für Blinde, sowie bei Gerätschaften für Menschen mit Hörbehinderung bis hin zu Gebärdendolmetschern für Gehörlose oder leichte Sprache für Menschen mit Lernbehinderung. Somit ist es nur den wenigsten Eingeschränkten möglich an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Krasses Beispiel sind Nachrichtensendungen. Während in sehr vielen Ländern der Welt bei politischen Reden, Katastrophenmeldungen und Nachrichten wie selbstverständlich Gebärdendolmetscher eingeblendet werden, müssen sich unsere gehörlosen Mitmenschen auf die öffentlich-rechtlichen Spartensender verlassen. Private TV-Sender bieten diesen Service gar nicht erst an. Eine Teilhabe am politischen und öffentlichen Leben, wie im Artikel 29 der UN-BRK verankert ist somit nicht gegeben. Barrierefreiheit und Teilhabe sind unveräußerliche Menschenrechte, diese Menschenrechte werden gerade den Menschen mit Handicap noch viel zu oft verwehrt.

Am deutlichsten wird die Diskriminierung vor Ort, in Vereinen und Gemeinden.
 Beliebte Argumentationen gegen eine Inklusion sind oft Aussagen wie, „Bis jetzt war noch kein Behinderter hier“ oder „wir können nicht alle berücksichtigen“ auch gerne genutzt „wer soll das bezahlen“. Sprüche wie, 
die paar Stufen wirst du schon schaffen, gesagt von einem Bürgermeister zu einem Rollstuhlfahrer, erleben Menschen mit Handicap fast täglich. In das Erfinden von Ausreden legen Verantwortliche mehr Energie als in die Beseitigung von Barrieren. Dabei ist es gar nicht so schwer Lösungen zu finden, Behindertenverbände wie der Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter e.V. beraten gerne und kostenlos. 
Wenn Gemeinden, Vereine und Parteien etwas für die Barrierefreiheit ausgeben sollen wird geblockt was das Zeug hält. Von Selbstbestimmung wie im Artikel 19 der UN-BRK verankert, keine Spur.

2019 erhalten Menschen die unter Betreuung stehen erstmals in Deutschland das Wahlrecht. Einerseits ein weiterer Schritt nach vorne, anderseits ein Beweis dafür wie schwer wir Deutschen und unsere Parteien uns im Umgang mit Behinderungen immer noch tun. Die BRD verstieß damit mindestens zehn Jahre gegen internationales Recht. Die Regierung hätte das Wahlverbot für rund 80.000 Betroffene aufheben müssen. Auch an diesem Beispiel zeigt sich der geringe Stellenwert von Menschen mit Behinderung.

Schauen wir uns doch mal den Mindestlohn und die geschützten Werkstätten der Lebenshilfe und ähnlichen Einrichtungen an, zudem müssen wir noch einen Blick auf unser Grundgesetz Artikel 3 werfen. In Absatz 1 steht klar und deutlich „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“. Dann gibt es noch das „Gesetz zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns“ kurz MiLoG, auch dies ist ein Gesetz wie der Name schon sagt. Ausgenommen aus dem MiLoG wurden die ca. 300.000 Beschäftigten in den betreuten Werkstätten. Offensichtlich gilt hier für die Beschäftigten der Werkstätten nicht das Grundgesetz Art. 3 „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“. Wie kann es angehen, das die hier Betroffenen für ein Taschengeld von circa 200 Euro monatlich arbeiten müssen. Ich nenne das ganz klar eine Diskriminierung durch den Staat! Hier gibt es sicherlich Mittel und Wege den Betrag zwischen dem Mindestlohn und einem Taschengeld zu finanzieren.

Wir sind in Deutschland noch weit entfernt von einer umfassenden Inklusion von Menschen mit Behinderung. Gefordert ist die Politik, wir brauchen verbindliche und zwingende Gesetze zur Herstellung der Barrierefreiheit in allen öffentlich zugänglichen Gebäuden, Arztpraxen und kulturellen Einrichtungen, für Ladengeschäfte usw., auch für Bestandsbauten, wir brauchen ein Recht auf barrierefreien Wohnraum.

Wie beschämend ist es wenn in einem der reichsten Länder der Erde Menschen nicht nur vergessen, sondern ihnen auch noch elementare Menschenrechte vorenthalten werden. Wie beschämend ist es für ein Land wie Deutschland wenn Menschen bewusst von einer Teilhabe am Leben ausgeschlossen werden. Wie peinlich muss es unseren Politikern sein, wenn andere Länder mit einem wesentlich geringerem Bruttosozialprodukt bei der Inklusion viel weiter sind als Deutschland.

Norbert Sandmann (59) ist ein Inklusionsaktivist aus Leidenschaft. Er setzt sich nicht nur im regionalen Bereich in seiner Heimatregion um Schweinfurt/Bayern für Barrierefreiheit und Inklusion ein, sondern ist auch auf Bundesebene für den Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter e.V. (BSK) aktiv. Hier vertritt er die Interessen der Betroffenen in der Bundesvorstandschaft und im Fachteam Bauen. Sein Spezialgebiet ist das barrierefreie Bauen im öffentlichen Raum. Neben seiner Tätigkeit im Bundesverband ist er noch Vorstandsmitglied in der lokalen Selbstvertretungsgruppe „Wir Miteinander Füreinander“, einer Gruppe aus Menschen mit und ohne Behinderung. Zusätzlich engagiert er sich beim Bayerischen Roten Kreuz und bei der Schweinfurter Anlaufstelle „Sexuelle Gewalt“ des Vereins Frauen helfen Frauen e.V.

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