Auf behinderte Menschen hören und Menschenrechte sicherstellen

Vor 15 Jahren, am 26. März 2009, ist das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen der Vereinten Nationen (UN-Behindertenrechtskonvention) in Deutschland in Kraft getreten. 15 Jahre nach diesem wichtigen Schritt für die Menschenrechte behinderter Menschen muss die LIGA Selbstvertretung feststellen, dass in der Praxis und bei der Gesetzgebung immer noch viel zu wenig auf die behinderten Menschen selbst gehört wird. Zudem gehe der Blick auf die Menschenrechte angesichts der oft dominierenden Interessen von Dienstleistungserbringern und Kostenträgern häufig verloren, so dass Exklusion in Deutschland immer noch Standard ist und Inklusion oftmals mühsam erkämpft werden muss. Deshalb veröffentlicht die im Jahr 2015 gegründete LIGA Selbstvertretung als Bündnis von Organisationen, die von behinderten Menschen selbst geleitet, verwaltet und vertreten werden, zum 15jährigen Jubiläum der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention durch Deutschland Stimmen von behinderten Menschen, die aus Deutschland bei der Erarbeitung der Menschenrechtskonvention in New York dabei waren.

Professor Sigrid Arnade: „Schämt euch und werdet besser!“

„Der Fortschritt wird allgemein als Schnecke bezeichnet. Das ist bekannt. Allerdings hatte ich erwartet, dass eine rechtsverbindliche UN-Konvention von den Regierenden ernster genommen und zügiger umgesetzt wird als das in den vergangenen 15 Jahren in Deutschland geschehen ist. Unter anderem fehlen immer noch die Verpflichtung privater Anbieterinnen und Anbieter von Waren und Dienstleistungen zur Barrierefreiheit sowie das uneingeschränkte Recht auf inklusive Bildung. In New York habe ich mich seinerzeit besonders dafür eingesetzt, die Rechte behinderter Mädchen und Frauen explizit zu verankern. Aber nicht einmal eine umfassende Gewaltschutzstrategie wurde hierzulande bislang erarbeitet. Da möchte ich den Verantwortlichen zurufen: Schämt euch und werdet besser“, erklärte Professor Sigrid Arnade aus Berlin als Sprecherin der LIGA Selbstvertretung.

Dinah Radtke: „Wir müssen weiter für eine bessere Welt kämpfen“

„Die Behindertenrechtskonvention entstand auf Druck der Zivilgesellschaft innerhalb von nur vier Jahren, weil Menschen mit Behinderungen weltweit diskriminiert und ausgegrenzt wurden und immer noch werden. 2002 begannen die Beratungen des Ad-hoc Ausschusses, der von der Generalversammlung der Vereinten Nationen eingesetzt wurde, um ein umfassendes internationales Übereinkommen zum Schutz und zur Förderung der Rechte und der Würde von Menschen mit Behinderungen zu erarbeiten. 2006 wurde die UN-Behindertenrechtskonvention und das Zusatzprotokoll von der Generalversammlung der Vereinten Nationen angenommen. In Deutschland ist die UN-Behindertenrechtskonvention seit 26. März 2009 in Kraft. Der Anteil der Zivilbevölkerung, die an den Beratungen teilgenommen hat, war sehr groß. Darunter waren viele Menschen mit Behinderungen, die ihre Erfahrungen, ihre politischen und gesellschaftspolitischen Vorstellungen und Visionen in den Beratungsprozess eingebracht haben unter dem Motto: ‚Nichts über uns, ohne uns!‘.

Damals lebten und arbeiteten wir in New York wie in einer anderen Welt. Wir dachten, wir könnten die Welt verbessern und ein neues Zeitalter einleiten, in dem behinderte Menschen gleichberechtigt mit anderen am Leben in der Gesellschaft teilnehmen können. Leider ist dem nicht so. Es hat sich zwar einiges verbessert, aber im Grunde müssen wir immer noch um die Durchsetzung unserer Menschenrechte kämpfen. Und behinderte Frauen, für deren Rechte ich mich damals besonders einsetzte, werden immer noch stärker mehrfach diskriminiert als behinderte Männer und nicht-behinderte Frauen. Der Kampf für eine bessere Welt geht also weiter!“ Dies betonte Dinah Radtke aus Erlangen, die für Disabled Peoples‘ International und die Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) an den Verhandlungen für die Konvention in New York mitgewirkt hat.

H.-Günter Heiden: „Menschenrechte ernst nehmen!“

„Ich habe 2005 und 2006 einige Verhandlungsrunden zur UN-Behindertenrechtskonvention in New York als Assistent miterlebt. Besonders beeindruckt hat mich die Geschlossenheit und Stärke der internationalen Behindertenbewegung, die einen strikt menschenrechtlichen Akzent in den Verhandlungen gesetzt und damit auch Erfolg gehabt hat. Einen solchen menschenrechtlichen Kurs wünsche ich mir auch von der Bundesregierung bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, aber nicht als Lippenbekenntnis, wie ich es in den letzten Jahren zu oft erlebt habe, sondern als ernst gemeinte Behindertenpolitik“, betonte H.-Günter Heiden aus Berlin vom NETZWERK ARTIKEL 3.

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