Im Vorfeld des 1992 von den Vereinten Nationen ins Leben gerufenen Internationalen Tags der Menschen mit Behinderung am 3. Dezember und im Hinblick auf die voraussichtlich am 23. Februar 2025 stattfindende Bundestagswahl hat die LIGA Selbstvertretung zehn Gebote für eine zukunftsfähige Behindertenpolitik veröffentlicht. „Daran müssen sich die politischen Parteien, ihre Programme sowie die Koalitionsverträge künftiger Regierungen messen lassen“, erläutert die Sprecherin des bundesweiten Bündnisses von Selbstvertretungsorganisationen behinderter Menschen, Professor Dr. Sigrid Arnade. Alle Gebote orientieren sich nach Angaben der LIGA-Sprecherin an der UN-Behindertenrechtskonvention und damit an einer Behindertenpolitik als Menschenrechtspolitik.
„Im Hinblick auf die behindertenpolitische Bilanz der Ampelregierung sind viele behinderte Menschen und ihre Verbände nicht nur verärgert, sondern maßlos enttäuscht, frustriert und wütend. Denn von den guten Formulierungen im Koalitionsvertrag wurde so gut wie nichts umgesetzt. Nicht einmal die versprochenen Regelungen für mehr Barrierefreiheit wurden verabschiedet. Wir fordern die derzeitigen Bundestagsabgeordneten daher auf, die verbleibende Zeit zu nutzen und fraktionsübergreifend noch die nötigen Regelungen zur Verpflichtung privater Anbieter und Anieterinnen von Dienstleistungen und Produkten zur Barrierefreiheit zu verabschieden. Es wäre noch möglich. Es muss nur gewollt werden“, erklärte Professor Dr. Sigrid Arnade.
Auf die Bundestagswahl 2025 ausgerichtet decken die zehn Gebote der LIGA Selbstvertretung nahezu das gesamte Spektrum der Behindertenpolitik ab: Es geht um die Pflicht zur digitalen und sonstigen Barrierefreiheit, auch für private Anbieter und Anbieterinnen von Waren und Dienstleistungen und auch in der Kommunikation. Es geht auch um die freie Wahl von Wohnort und Wohnform mit der nötigen Unterstützung, um eine Psychiatrie ohne Zwang, um Gewaltschutz und um ein inklusives Bildungssystem. Zudem werden ein inklusiver Arbeitsmarkt, ein inklusives Gesundheitswesen und nicht zuletzt die Stärkung von Selbstvertretungsorganisationen und verbesserte Partizipationsmöglichkeiten thematisiert.
„Zu jedem einzelnen Gebot ließe sich eine längere Abhandlung schreiben“, so Sigrid Arnade. „Mit dieser Zusammenfassung unserer Anliegen auf die wesentlichen Kernpunkte hoffen wir darauf, dass die von uns Angesprochenen Farbe bekennen müssen.“
Die LIGA Selbstvertretung ist ein Zusammenschluss von bundesweit tätigen Selbstvertretungsorganisationen, die von behinderten Menschen selbst verwaltet, geführt und gelenkt werden.
Zehn Gebote der LIGA Selbstvertretung für eine zukunftsfähige Behindertenpolitik anlässlich der Bundestagswahl 2025
- Behindertenpolitik, die keine Menschenrechtspolitik ist, ist keine Behindertenpolitik.
- Das Menschenrecht auf Selbstbestimmung und Inklusion wird durch die freie Wahl des Wohnorts und der Wohnform mit der entsprechenden Unterstützung gewährleistet und nicht aus Kostengründen eingeschränkt. Die erforderliche Unterstützung für die Teilhabe an allen Lebensbereichen wird als echter Nachteilsausgleich einkommens- und vermögensunabhängig erbracht.
- Private Anbieter und Anbieterinnen von Waren und Dienstleistungen werden zu umfassender Barrierefreiheit und angemessenen Vorkehrungen verpflichtet. Digitalisierung wird barrierefrei umgesetzt. Digitale Teilhabe wird für alle Menschen möglich gemacht.
- Gebärdensprachdolmetschung, Untertitelung, Audiodeskription und Leichte Sprache werden in allen Bereichen der Kommunikation und der Medien selbstverständlich umgesetzt.
- In jeglichen psychiatrischen und pflegerischen Zusammenhängen sowie in besonderen Wohnformen sind Zwangsmaßnahmen und Zwangsmedikation abzuschaffen und durch menschenrechtskonforme. Das heißt ohne Zwang auskommende Alternativen zu ersetzen.
- Gewaltschutzstrategien werden erarbeitet sowie unabhängige barrierefreie Beratungsstellen und Frauenhäuser verbindlich eingerichtet, um vulnerable Gruppen, wie behinderte Mädchen und Frauen, effektiv zu schützen.
- Das Menschenrecht auf inklusive Bildung, orientiert an qualitativen Maßstäben, wird umgesetzt, unterstützt durch einen Masterplan, der in einem partizipativen Prozess von Bund, Ländern und Selbstvertretern und -vertreterinnen erarbeitet wird.
- Für einen inklusiven Arbeitsmarkt wird ein Masterplan mit den relevanten Akteuren und Akteurinnen sowie Selbstvertretern und Selbstvertreterinnen entwickelt und umgesetzt. Das Gesundheitswesen wird in allen Bereichen inklusiv, divers, barrierefrei.
- In allen Bereichen wird der Exklusion und Segregation entgegengewirkt. Das beinhaltet den Abbau von großen Institutionen und Sondereinrichtungen, insbesondere beim Wohnen, im Bildungs- und Arbeitsbereich.
- Selbstvertretungsorganisationen werden organisatorisch und finanziell ausreichend unterstützt, um die Regierungsarbeit auf Bundes- und Länderebene kritisch zu begleiten. Entscheidungen, die unter Nichtbeachtung zuvor festgelegter Partizipationsstandards zustande kommen, sind nichtig.