27. Kongress des Medizinisch-Wissenschaftlichen Beirates der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke (DGM) e.V.

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Fachkongress zu neuromuskulären Erkrankungen in Gießen – Fortschritte durch präzise Diagnostik und personalisierte Therapie

Mit großem Erfolg ging in Gießen der 27. Kongress des Medizinisch-Wissenschaftlichen Beirates der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke e. V. (DGM) zu Ende. Rund 600 Teilnehmer kamen zusammen, diskutierten fachübergreifend und tauschten aktuelle Erkenntnisse aus. Präzise Diagnostik und personalisierte Therapie waren eines der zentralen Themen bei der hochkarätigen interdisziplinär ausgerichteten Tagung.

In der Kongresshalle Gießen sind nationale und internationale Experten aus unterschiedlichen Disziplinen wie Neuropädiatrie, Neurologie, Neuropathologie, Humangenetik, Rheumatologie, Orthopädie, Rehabilitationsmedizin, Beatmungsmedizin, Palliativmedizin und Intensivpflege zusammengekommen. Fazit nach drei ereignisreichen Kongresstagen: Aktuelle Fortschritte in der Diagnostik und Therapie ermöglichen eine zunehmend personalisierte Therapie von Patienten mit erworbenen und genetisch bedingten neuromuskulären Erkrankungen über alle Altersstufen hinweg. Erstmalig teilten sich drei Ärzte aus unterschiedlichen Fachbereichen, die an der Diagnose und Behandlung von Menschen mit neuromuskulären Erkrankungen beteiligt sind, die Kongressleitung: Professor Dr. med. Anne Schänzer, Oberärztin des Instituts für Neuropathologie und Leiterin des Neuromuskulären Labors, Professor Dr. Heidrun Krämer-Best, Leiterin des Schwerpunktbereichs Neurophysiologie und Neuromuskuläre Erkrankungen sowie Professor Dr. med. Andreas Hahn, Oberarzt der Kinderneurologie der Justus-Liebig Universität und UKGM Gießen.

Wie gut dieser interdisziplinäre Ansatz aufgegangen ist, zeigten die informativen Vorträge in allen Bereichen, der rege fachübergreifende Austausch und die intensiven Diskussionen. Angesichts der inzwischen sehr komplexen diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten bei neuromuskulären Erkrankungen bringe die interdisziplinäre Zusammenarbeit große Vorteile für alle, vor allem, weil man in einem gut aufgestellten Team „besser und schneller zu Lösungen für die Patienten“ kommt, betonte Anne Schänzer. „Wir wollten für viele Disziplinen, die sich mit neuromuskulären Erkrankungen beschäftigen, den Austausch untereinander fördern.“

Viele Symposien und Vorträge des Programms zeigten eindrucksvoll die Heterogenität der neuromuskulären Erkrankungen und thematisierten die enormen Fortschritte in der medikamentösen Therapie – sowohl bei den erworbenen, immunologischen als auch bei den angeborenen, genetisch bedingten Erkrankungen. Spannende Beiträge zu neuen behandlungsrelevanten Erkenntnissen bei verschiedenen Muskelerkrankungen sowie Präsentationen von Ergebnissen kürzlich abgeschlossener Studien zu neuen Therapien wurden in allen Bereichen heiß diskutiert. Es wurden aber auch die nicht medikamentösen Behandlungen wie physikalische Therapien oder Logopädie vorgestellt, die ebenfalls von großer Bedeutung für die Patienten sind.

Insgesamt wurde deutlich, wie rasant sich die Behandlungsmöglichkeiten neuromuskulärer Erkrankungen weiterentwickelt haben. Bei den hereditären Erkrankungen können inzwischen Genadditionstherapien, Gene-Silencing Therapien und Enzymersatztherapien eingesetzt werden. „Bei den immunologischen Erkrankungen wurden eine Reihe neuer Medikamente zugelassen, welche die Behandlung bei einem relevanten Prozentsatz der bisher unzureichend behandelten Patienten verbessern bzw. optimieren“, so Heidrun Krämer-Best. „Im Prinzip ist bei einigen neuromuskulären Erkrankungen in den letzten Jahren der Schritt von der Diagnostik und dem Krankheitsmonitoring hin zur Therapierbarkeit geglückt.“ Hiervon profitieren viele Patientinnen und Patienten mit unterschiedlichen Krankheitsbildern. Dazu ergänzend Andreas Hahn: „Wir haben für einige Erkrankungen wie die Spinale Muskelatrophie mittlerweile Medikamente, die bei frühem Einsatz das Potential haben, den Verlauf und die Prognose komplett zu verändern.“ Bei gentherapeutischen Medikamenten zur Behandlung der Spinalen Muskelatrophie, für die mittlerweile teilweise Verlaufsdaten über Zeiträume von 5-10 Jahren vorliegen, ist bisher kein Wirkverlust zu erkennen, und die Nebenwirkungen sind gering.

Viele einzelne Muskelerkrankungen wurden bei der Tagung in all Ihrer Komplexität beleuchtet, so dass fachlichen Experten vom Kliniker bis hin zum Grundlagenwissenschaftler gleichermaßen angesprochen wurden. Insgesamt ist der Ansatz in der diesjährigen Tagung, klinische und therapeutische Aspekte mit diagnostischen Methoden und Grundlagenforschung in den Symposien zusammenzubringen, der Anne Schänzer als Neuropathologin besonders wichtig war, um die Vernetzung zu fördern, rundum geglückt. „Das eine ist ohne das andere nicht erfolgreich“, lautete das Fazit. Der anregende Austausch auch in den Pausen und während der Networking-Veranstaltungen zeigte zudem, wie erfolgreich die Verbindung zu anderen Fachgesellschaften mit dem Ziel der besseren Vernetzung und Zusammenarbeit war.  Die zwei Plenarsitzungen mit angesehenen nationalen und internationalen Experten waren ein voller Erfolg: „Immunologische Prozesse bei Neuromuskulären Erkrankungen“ unter Vorsitz von Dr. Monika Hofer, Oxford und Professor Dr. Werner Stenzel, Berlin und „Molekulare Therapien bei erblichen Myopathien im Kindes- und Erwachsenenalter“ unter Vorsitz von Professor Dr. Carsten Bönnemann, Bethesda/US und Professor Dr. Benedikt Schoser, München waren besondere Highlights des Kongresses.

Zusammenfassend zeigte die dreitägige Tagung, wie wichtig sowohl eine exakte Diagnostik als auch das Verständnis der Pathogenese der Erkrankung für die Auswahl und den Erfolg der angestrebten individualisierten Therapien sind. Für viele neue diagnostische und therapeutische Methoden sei der Stellenwert neuer Technologien nicht zu unterschätzen. Auch das Phänomen „Schmerz“, ein häufiges und oft therapeutisch herausforderndes Symptom bei neuromuskulären Erkrankungen, hatte bei der Tagung einen großen Stellenwert. Die Skills Labs und die Young Investigator Workshops vermittelten verschiedenen Kompetenzen aus Klinik und Forschung an Nachwuchsärzte und -wissenschaftler. „Auch aus Betroffenensicht war es wichtig, den regen und engagierten Fachaustausch der Teilnehmer zu erleben“, betonte Joachim Sproß, Bundesgeschäftsführer der DGM. „Dass Experten unterschiedlicher Disziplinen die Plattform des Kongresses so intensiv genutzt haben, gibt Mut und Zuversicht.“

Patientenfachtag der DGM

Auf dem Patientenfachtag im Anschluss an den Kongress waren unter dem Thema „Leben ist Veränderung“ vor allem die Themen Transition und Wandel von großer Bedeutung, um die Patienten optimal zu behandeln. „Die DGM-Kongresse leben davon, dass sie sowohl Betroffene und Angehörige als auch Forscher und Behandler zusammenführen. Das ist in dieser Art etwas Besonderes“, so Andreas Hahn. Mit Blick auf die Zukunft sei davon auszugehen, dass sich durch die neuen Therapien der Phänotyp vieler Erkrankungen verändern wird. Auch ging es um die wichtige Frage: „Experte in eigener Sache werden – wie kann ich meine Versorgung selbst gestalten?“. Im Anschluss an verschiedene, gut besuchte Workshops wurde das Thema „Hilfsmittelversorgung – gut auf den Weg gebracht“ in einer Podiumsdiskussion aus verschiedenen Perspektiven präsentiert und diskutiert.

Kongress-Highlights: Feierliche Preisverleihungen der DGM

Wie jedes Jahr, würdigte die DGM besondere Leistungen von WissenschaftlerInnen im neuromuskulären Bereich mit verschiedenen Forschungspreisen. Der Duchenne-Erb-Preis international ging an Frau Professor Dr. Ans von der Ploeg und der nationale Duchenne-Erb-Preis wurde an Professor Dr. med. Reinhard Dengler verliehen. Den Felix-Jerusalem-Preis der DGM bekam Dr. rer. nat. Patrick Lüningschrör, Universitätsklinikum Würzburg. Den 2. Preis erhielten Herr PD Dr. med. habil. Dr. rer. biol. Hum. Ferdinand Knieling, Universitätsklinikum Erlangen und Herr PD Dr. med. Patrick Weidt, Universitätsklinikum Bonn. Den Junior-Preis der DGM bekam Dr. med. Dr. Björn Vahsen, University of Oxord und den Myostis-Nachwuchs-Forschungspreis der DGM erhielt Sven Wischnewski. Außerdem wurden Preise für das beste Poster, den besten Kurzvortrag und Videobeitrag vergeben.

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