Nachdem das Bundesgesundheitsministerium einen abgeänderten Entwurf zum RISG (seit der Änderung nun „Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz“ – IPReG) veröffentlicht hat, äußern sich nun Betroffene sowie Vereine und Vertretungen. Auch AbilityWatch, eine Aktionsplattform der modernen Behindertenbewegung, nimmt zu den Anpassungen Stellung:
Mit dem Reha- und Intensivpflegestärkungsgesetz (RISG) wollte das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) Missbrauch und Fehlanreize bei der Versorgung von Intensivpatienten, insbesondere bei Beatmungs- und Wachkomapatienten verhindern. Stattdessen wurde es aber ein Entwurf, der die Lebensgrundlage tausender schwerbehinderter Menschen zerstört hätte. Nun legt das BMG mit einem geänderten Referentenentwurf für ein “Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz (IPREG)“ erneut ein Papier vor, welches eine Verschlechterung der Situation für behinderte Menschen in Deutschland bedeutet.
So soll laut Präambel das Wahlrecht der Versicherten bei der Auswahl der Rehabilitationseinrichtung gestärkt werden [S. 2 – B. Lösung] – nicht aber das Wahlrecht, ob überhaupt eine Rehabilitationseinrichtung als Lebensmittelpunkt gewählt werden soll. Tatsächlich wird zwar durch die Senkung der Eigenbeteiligung an vollstationären Pflegeeinrichtungen der Zugang zu Einrichtungen erleichtert, gleichzeitig aber wird die ambulante Versorgung – ander als bisher – grundsätzlich unter einen Kostenvorbehalt gestellt. Dadurch können Versicherte nur noch dann intensivpflegerische Versorgung in den eigenen vier Wänden oder bei ihren Familien erhalten, wenn diese kostengünstiger als in Pflegeeinrichtungen zu erbringen sind oder aber eine Unterbringung in Pflegeeinrichtungen aus persönlichen Gründen unzumutbar ist. Damit liegt kein Wahlrecht der Patienten mehr vor, sondern durch die kostengünstigere Versorgung in Pflegeeinrichtungen wird – wie mit dem vorherigen Entwurf – ein neuer Standard gesetzt, von dem nur noch bei Unzumutbarkeit abgewichen werden kann.
Unzumutbarkeit einer Heimunterbringung soll beispielsweise dann vorliegen, wenn in der eigenen Häuslichkeit “Selbstbestimmung und Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ermöglicht werden und die medizinisch-pflegerische Versorgung an diesem Ort sichergestellt ist” [S. 28 – Begründung zu Absatz 2]. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, soll die Krankenkasse nach einer Begutachtung des Medizinischen Dienstes entscheiden, der im Hinblick auf gesellschaftliche Teilhabe im Sozialraum keinerlei Erfahrung hat. Zudem wird die Definitionshoheit darüber, wann Teilhabe an der Gesellschaft für einenBetroffenen möglichist, in die Hand der staatlichen Institutionen gelegt. Patienten sind damit abhängig von der Bewertung der Krankenkasse, ob ihnen und ihrer Situation in der eigenen Häuslichkeit eine Teilhabe an der Gesellschaft zugetraut wird. Selbst wenn soziale Teilhabe angeblich aus Krankheitsgründen nicht möglich sein soll – was zunächst eine allumfassende Definition von sozialer Teilhabemöglichkeit voraussetzt – wird die Selbstbestimmung über einen Verbleib in der eigenen Wohnung entzogen.
Völlig außer acht lässt der Entwurf auch die ambulante Versorgung über Persönliche Budgets (einschließlich des Arbeitgebermodells). Auch hierin zeigt sich, dass ein Transfer von ambulant zu stationär erfolgen soll. Besonders deutlich wird dies auch daran, dass es einen Bestandsschutz für Versicherte geben soll, die derzeit im Rahmen der Behandlungspflege intensivpflegerisch zu Hause versorgt werden. Ein solcher Bestandsschutz wäre denknotwendig nicht nötig, wenn nicht die Gefahr bestünde, dass Versicherte gegen ihren Willen aus ihren gewohnten und funktionierenden ambulanten Versorgungssituationen gerissen werden könnten.
Bei der Frage nach dem Ort der Leistungserbringung sollen Versicherte eine verpflichtende Beratung durch die Krankenkassen erhalten. Diese sind aber nicht in der Lage die Dimensionen von Teilhabe und Selbstbestimmung nach den Grundsätzen des § 104 Abs. 2 SGB IX zu prüfen. Genau für diese Fälle wurde erst mit dem BTHG die Ergänzende Unabhängige Teilhabeberatung eingeführt. Eine quasi-verpflichtende Beratung durch die Stelle, die die Kosten zu tragen hat, ist strikt abzulehnen. Zusätzlich steht zu befürchten, dass eine Entscheidung des Versicherten gegen die angeratene Leistungsform/-ort im Rahmen der Zumutbarkeitsentscheidung negativ berücksichtigt wird.
Auch an anderer Stelle beraubt der Entwurf Patientinnen und Patienten ihres Selbstbestimmungsrechts:
• Zukünftig sollen die (Fach-)Ärzte nicht nur die Indikationsstellung bei langzeit zu pflegenden Personen übernehmen, sondern auch das Ziel der Versorgung (der Therapie) feststellen. Mit dem Patienten soll dies dann nur noch zu erörtern sein (S. 27 – Begründung Zu Nummer 3). Dies ist höchst bedenklich, da explizit auch palliativmedizinische Fragen geklärt werden sollen.
• Die Leistungen zur häuslichen Behandlungspflege, die bisher auch für intentivpflegebedürftige Versicherte die Grundlage für die Versorgung darstellen und ohne entmündigende Zumutbarkeitsprüfung auskommen, bleiben währenddessen unangetastet. Sie sollen nicht unter einen Mehrkostenvorbehalt gestellt werden. Sie sollen indes zukünftig Personen mit einem besonders hohen Bedarf an medizinischer Behandlungspflege nicht mehr zustehen. Hier entsteht eine Zwei-Klassen-Gesellschaft von Patienten.
Darüberhinaus hat der Entwurf noch weitere Schwächen, wie eine fehlende Null-Wert-Messung bei der Evaluation und eine ohnehin viel zu lange Evaluationszeit (6 statt gewöhnlich 4 Jahre); unnötiger bürokratischer Aufwand für Patienten, die dauerhaft medizinisch nicht entwöhnt werden können; fehlende Einbeziehung der maßgeblichen Organisationen für Menschen mit Behinderungen bei der Erstellung der Rahmenempfehlungen nach § 132j usw.
AbilityWatch e.V. ist enttäuscht über den neuen Entwurf. Während zwar beim BMG die Botschaft anzukommen scheint, dass die Art und Ort der Behandlungspflege Basis für Selbstbestimmung und Teilhabe sind, stellt das BMG genau diese Menschenrechte gleichwohl grundsätzlich unter Mehrkostenvorbehalt. Wann ein Mensch an der Gesellschaft teilhaben kann und wann für seine individuelle Situation eine angemessene Versorgung vorliegt, soll nicht der betroffene Mensch entscheiden, sondern der Kostenträger. AbilityWatch lehnt dies mit Nachdruck ab.
Zum Referentenentwurf: IPREG