IntensivLeben und wie sie IPReG 2.0 sehen

Um es gleich vorweg zu nehmen: Für die Interpretation und Bewertung des überarbeiteten Referentenentwurfes IPReG (2) vom 21.01.2020 bedarf es einer rechtlichen Überprüfung, die hier nicht geleistet werden kann. Aber genau darin liegt vielleicht das zentrale Problem dieses neuen Entwurfes, der insbesondere in seiner Begründung gänzlich anders argumentiert als die vorangegangene Fassung.

Die sehr weit gefassten und interpretationsoffenen Formulierungen geben nicht nur bei der Beurteilung des Gesetzentwurfes, sondern auch bei der Gesetzesauslegung nach einem Inkrafttreten Anlass zu juristischen Prüfungen. Angesichts der Dauer juristischer Verfahren und der im Gesetz geforderten jährlichen Neubewertung der Voraussetzungen für die vom Versicherten gewünschte Versorgung eine absurde Vorstellung.

Was also sieht der überarbeitete Referentenentwurf im Einzelnen vor? Das IPReG (2) räumt den Versicherten mit einem Anspruch auf außerklinische Intensivpflege eine freie Wahl des Leistungsortes ein. Diese Wahlfreiheit unterliegt jedoch weiterhin einer Einzelfallprüfung durch den Medizinischen Dienst, um die Voraussetzungen für die Leistungserbringung festzustellen. Der Leistungsanspruch ist insbesondere in der eigenen Häuslichkeit des Versicherten regelmäßig, mindestens jährlich neu zu prüfen. Abschließend befinden hierüber jeweils die Krankenkassen.

Als Prüfkriterium gilt, dass: „die medizinische und pflegerische Versorgung an diesem Ort tatsächlich und dauerhaft sichergestellt werden kann. Dabei sind die persönlichen, familiären und örtlichen Umstände zu berücksichtigen“ (§37c Abs.2). Laut Begründung ist hiermit die Gewährleistung einer kontinuierlichen Versorgung im Pflegealltag gemeint. Das ist grundsätzlich im Interesse des Versicherten, allerdings bleibt völlig offen, welche Akteure hier vom Gesetzgeber in der Handlungspflicht gesehen werden. Soll die Wohnortwahl und damit die Lebensperspektive der Betroffenen von der jeweils aktuellen Personalausstattung des Pflegedienstleisters abhängig gemacht und mindestens jährlich neu in Frage gestellt werden? Oder sollen die Krankenkassen von Ihrer Rechtspflicht, die vom Gesetzgeber geforderte Versorgung sicherzustellen, im Bereich der häuslichen Versorgung entbunden werden? Oder ist mit den „persönlichen, familiären und örtlichen Umstände“ gemeint, dass die Familienangehörigen die Leistung selber erbringen sollen?

Angesichts der wenigen inhaltlichen Ergänzungen zum Gesetzestext in der Begründung fallen zwei Aussagen deutlich ins Gewicht:

1. Vor dem Hintergrund des bestehenden Fachkräftemangels in den Pflegeberufen ist es wichtig, die vorhandenen Fachkräfte möglichst so einzusetzen, dass allen Versicherten eine bestmögliche Versorgung ermöglicht wird. Die stationäre Versorgung, die grundsätzlich einen effizienten Einsatz des vorhandenen Pflegepersonals ermöglicht, soll daher gestärkt werden. (S.29)

Hier wird deutlich, dass die Versorgung in der eigenen Häuslichkeit weiterhin einem Vorbehalt unterliegt, der bei der Feststellung der Voraussetzungen für den gewünschten Leistungsort besonders kritisch geprüft werden soll. Weiterhin wird unterstellt, dass Pflegekräfte unabhängig von ihren Interessen und Neigungen beliebig eingesetzt werden können, was sich Angesicht der hohen Zahl von Berufsaussteigern bereits in der Vergangenheit als tragischer Irrtum erwiesen hat.

2. Durch Regelungen zur Leistungserbringung durch besonders spezialisierte Leistungserbringer soll die zeitweise Versorgung durch Familienangehörige, wie sie gerade durch Eltern bei intensiv‐ pflegebedürftigen Kindern in der Praxis häufig geleistet wird, nicht ausgeschlossen werden. (S. 39)

Diese Erkenntnis ist eine wichtige Neuerung gegenüber den früheren Entwürfen. Familienangehörige müssen auch weiterhin die Mglichkeit haben ohne die Anwesenheit Dritter Zeit mit ihren erkranktenKindern, Partnern oder Eltern verbringen zu können. Dazu gehört auch die freie Entscheidung, Dienstzeiten des Pflegedienstleisters eigenständig zu übernehmen. Angesichts des unter Punkt 1. angesprochenen Fachkräftemangels und der als Voraussetzung für die häusliche Pflege zu prüfenden „persönlichen und familiären Bedingungen“ kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass die Einwilligung in eine Versorgung durch Familienangehörige in nicht näher definiertem Umfang von den Krankenkassen zum Prüfkriterium erhoben wird.

Die Unwägbarkeiten des sehr interpretationsoffen gehaltenen Gesetzentwurfes sollen durch die Ausarbeitung der Rahmenempfehlungen innerhalb von 24 Monaten nach Inkrafttreten des Gesetzes weiter konkretisiert werden. Hier gilt es zunächst einmal positiv festzuhalten, dass den besonderen Belangen sowohl von Minderjährigen als auch von jungen Erwachsenen mit psychomotorischen Entwicklungsverzögerungen mit einer jeweils eigenen Rahmenempfehlung Rechnung getragen werden soll. Allerdings fehlt in der Begründung für alle Personengruppen eine Zielformulierung für die jeweils gesondert aufzustellenden Rahmenempfehlungen.

Das für die Rahmenempfehlungen zuständige Gremium besteht aus Interessensvertretern von Krankenkassen, vollstationären Pflegeeinrichtungen, Pflegediensten und dem medizinischen Dienst. Hier kann nicht erwartet werden, dass andere als die im Gesetz ausdrücklich benannten Ziele in den Vordergrund rücken. Da die Versicherten, die dauerhaft auf außerklinische Intensivpflege angewiesen sind, keine eigene Interessensvertretung bei der Beratung und Verabschiedung der Rahmenempfehlungen haben, müssen zum Schutz der Versicherten mindestens in der Begründung vom Gesetzgeber wesentliche Schutzziele ausdrücklich formuliert werden. So ist das im Vorgängerentwurf formulierte Ziel, die Lebensqualität der Betroffenen durch eine Versorgung in der eigenen Häuslichkeit zu erhalten auch weiterhin zu berücksichtigen.

Auch darf es Versicherten, bei denen auf Grund der Art ihrer Erkrankung eine langfristige Verbesserung ihres Gesundheitszustandes nicht zu erwarten ist (z.B. bei fortschreitender Muskelerkrankung, hohem Querschnitt oder anhaltenden Erkrankungen seit dem Kindesalter) nicht zugemutet werden, dass über ihre Lebensform und Lebensperspektive gegen ihren Willen regelmäßig neu verhandelt wird. Zur Stärkung der Versorgungsstruktur der Versicherten gehört zwingend auch eine verbindliche und langfristige Leistungszusage. Die Kontrolle der Leistungsqualität muss dadurch nicht eingeschränkt werden.

Fazit

Der Gesetzgeber muss klare Formulierungen finden, die es den Versicherten mit einem Anspruch auf außerklinische Intensivpflege ermöglicht, eine Lebensperspektive zu entwickeln, die langfristige Entscheidungen zur Wahl und bedarfsgerechten Anpassung des Wohnortes, der Form der Teilhabe am sozialen Leben und dem Aufbau von dauerhaften Beziehungen beinhaltet.

Angehörige, die in die Sicherung der medizinischen und pflegerischen Versorgung angesichts des zunehmenden Fachkräftemangels schon heute in oftmals unzumutbarem Umfang eingebunden werden, müssen wirksam und nachhaltig entlastet werden.

Der Leistungsbereich der häuslichen Intensivpflege muss als gleichberechtigte Fachrichtung in die Pflegelandschaft integriert werden. Durch die konsequente Anpassung der Lohnstruktur und die Sicherstellung einer angemessenen Vergütung für die Leistungserbringer kann nicht nur die Versorgungssicherheit in diesem Bereich verbessert, sondern auch der weiteren Abwanderung von Fachkräften, die sich dem enormen Zeit- und Kostendruck im Klinikalltag nicht mehr gewachsen sehen, wirkungsvoll begegnet werden.

Solange diese Aspekte nicht zum zentralen Bestandteil der Gesetzesvorlage werden, bleibt die vom BMG propagierte Stärkung der Intensivpflege eine Mogelpackung, die in höchstem Maße schutzbedürftige Menschen dem weiten Ermessensspielraum der Kostenträger hilflos ausliefern.

www.intensivleben-kassel.de

Kassel, 02.02.2020

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