Neuer Name – noch weniger Rechte!

Obwohl nach der Expertenanhörung zum Reha- und Intensivpflege-Stärkungsgesetz – RISG insbesondere durch die Interessenvertreter der Patienten klargestellt wurde, dass diese auf ihrem Selbstbestimmungsrecht, insbesondere in Bezug auf den Ort der Erbringung von intensivpflegerischer Behandlungspflege bestehen und jeder Einschränkung dieses auch grundgesetzlich geschützten Rechts entgegentreten, ignoriert das Ministerium dieses Recht auch weiterhin und versucht dieses in dem nunmehr vorgelegten Entwurf des Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetzes – GKV-IPREG weiter einzuschränken.

Die dem Gesetzesentwurf vorangestellte Zielrichtung, den von Intensivpflege Versicherten „solange und soweit wie möglich ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen“ wird in der vorliegenden Entwurfsfassung gerade nicht erreicht, sondern verhindert.

Die bisherige Regelung des § 37 Abs. 1 und 2 SGB V umfasst den gesamten Behandlungspflegeanspruch der Versicherten und sichert diesen nicht zuletzt mit Blick auf die diversen, hierzu durch die Instanzgerichte ergangenen Urteile, die Inanspruchnahme von Intensivpflegeleistungen an verschiedensten, deren individuellen Bedürfnissen entsprechenden Orten, zu welchen insbesondere deren Haushalt, Familie oder sonstige geeignete Orte, insbesondere ambulant betreute Wohnformen, Schulen, Kindergärten, Werkstätten für Behinderte aber auch stationäre Einrichtungen, gehören.

Der Anspruch umfasst neben dem Unterstützungsmanagement der Kranken- und Pflegekassen auch die palliativpflegerische Versorgung durch die individuell gewählten ambulanten oder stationären Leistungserbringer, welche ihrerseits mit den Kranken- und Pflegekassen in rahmenvertraglicher Beziehung stehen. Die hierzu geschlossenen Verträge mit den Leistungserbringern orientieren sich inhaltlich an den allgemeinen und besonderen Standards und Rahmenempfehlungen, zu welchen auch die zum 01.12.2019 in Kraft getretene Rahmenempfehlung nach § 132a Abs. 1 SGB V zur Versorgung mit Häuslicher Krankenpflege vom 30.08.2019 gehört. Diese ist zwischenzeitlich allgemein bekanntgegeben und u.a. auf dem Internetportal des GKV-Spitzenverbandes veröffentlicht. Diese Regelung scheint offenbar dem Ministerium unbekannt geblieben zu sein.

Insoweit ist es auch unrichtig, wenn in der Begründung zu dem Gesetzesentwurf davon die Rede ist, dass die Versorgung der Versicherten mit Intensivpflege keinen einheitlichen Grundsätzen oder Empfehlungen folgt. Die Empfehlungen regeln im Detail die Qualifikationen der verantwortlichen Pflegekräfte, das Verordnungs- und Genehmigungsverfahren, die Dokumentation der Leistungen und im Detail die außerklinische ambulante Intensivpflege einschließlich der Grundsätze der Leistungserbringung und der Qualifikation der einzusetzenden Leitungs- und Pflegekräfte.

Die dortigen Regelungen sind das Ergebnis detaillierter Vertragsverhandlungen, an welchen neben den Vertretern des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen auch die weiteren ausdrücklich vom Gesetzgeber in § 132a Abs. 1 SGB V vorgesehenen Interessenvertreter, zu welchen auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Deutsche Krankenhausgesellschaft gehörten, beteiligt waren. Die dortigen Regelungen schließen unmittelbar auch an die letztmalig am 12.12.2018 geänderte Fassung zum Rahmenvertrag nach § 39 Abs. 1 a S. 9 SGB V an, der zwischen dem GKV-Spitzenverband Bund als Vertreter der Krankenkassen und Pflegekassen, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Deutschen Krankengesellschaft e.V. über das klinische Entlassmanagement geschlossen wurde. Erklärtes Ziel dieses Vertrages ist die bedarfsgerechte, kontinuierliche Versorgung der Patienten im Anschluss an eine Krankenhausbehandlung und die Organisation einer patientenindividuellen, ressourcen- und teilhabeorientierten Nachversorgung. Entsprechend dieser Vereinbarung stellen bereits heute Krankenhäuser ein standardisiertes Entlassmanagement in multidisziplinärer Zusammenarbeit aller an der Nachversorgung Beteiligter, wozu neben Ärzten auch Psychotherapeuten, Pflegepersonal, Sozialdienst sowie ambulante und stationäre Nachversorger gehören, zur Verfügung um mögliche Rehabilitationsreserven der Patienten auszuschöpfen und eingetretene Erkrankungen zu therapieren, zu lindern oder zumindest deren Fortschreiten zu verhindern.

Bei Unterstützungsbedarf kann der Patient bereits heute auf die Zuarbeit seiner Kranken- und Pflegeversicherung zurückgreifen und so entsprechend seinem individuellen Bedarf und Lebenssituation eine Versorgung für sich organisieren, die diesem gerecht wird.

Bei konsequenter Umsetzung der bereits bestehenden Gesetzeslage und der hierauf geschlossenen Vereinbarungen nebst regelmäßiger Kontrollen durch die gesetzlich oder vertraglich vorgesehenen Kontrollorgane, u.a. dem medizinischen Dienst, sind die in der Begründung des Gesetzentwurfs ausgeführten Fehlentwicklungen wenn nicht vermeidbar, so doch zumindest in dem Maß zu kontrollieren und ermitteln, dass diese nicht das Bild der ambulanten oder stationären Intensivpflege prägen, wie das Ministerium dies glaubhaft zu machen versucht. Geleistet wird eine sach- und fachkundige Pflege durch die Leistungserbringer unter Kontrolle der Kranken- und Pflegekassen, denen nicht zuletzt auch die Rechtsprechung dergestalt zur Seite gesprungen ist, dass diese jedwede Abweichung der Leistungserbringung von der vertraglich vereinbarten Leistung derart sanktioniert, dass den Leistungserbringern gar kein Vergütungsanspruch hierfür zusteht. Einer Novellierung des § 37 SGB V in der derzeitigen Fassung bedarf es nicht, um die Rechte der von Intensivpflege Versicherten zu schützen oder gar zu stärken. Hierzu ist insbesondere der vorgeschlagene § 37 c SGB V ungeeignet. Zwar wiederholt dieser in Abs. 1 den bisherigen Anspruchsumfang, macht diesen jedoch von der Verordnung durch einen qualifizierten Vertragsarzt abhängig. Was unter qualifiziertem Vertragsarzt zu verstehen ist, definiert die Norm nicht, sodass bereits hieran sich ein Streit über die Verordnungsberechtigung entzünden kann, der auf dem Rücken der Versicherten ausgetragen wird. Wie soll ein Versicherter prüfen können, ob ein Vertragsarzt qualifiziert ist oder nicht? Bislang wurde die entsprechende Qualifikation durch den Gesetzgeber unterstellt. Weiter enthält der Abs. 1 Anforderungen an die Verordnung häuslicher Krankenpflege und das Zusammenwirken der an der Versorgung sodann Beteiligten, die nicht originär das in § 37 SGB V geregelte Verhältnis des Versicherten zur Krankenversicherung und dessen Rechtsanspruch auf Verordnungsgenehmigung betreffen und somit Anlass zu Streitigkeiten geben können. Hier kann sich zum Beispiel die Frage stellen, ob ohne Erörterung des Therapieziels mit dem Versicherten überhaupt eine Verordnung häuslicher Krankenpflege ausgestellt werden kann. Noch schwerwiegender wiegt die in Abs. 2 vorgesehene Angemessenheits-/Zumutbarkeitsprüfung in Bezug auf einen vom Versicherten gewünschten Leistungsort. Durch den ausdrücklichen Verweis auf den erst zum 01.01.2020 in Kraft tretenden § 104 Abs. 2 und 3 SGB IX wird der Versicherte zukünftig gezwungen sein, im Rahmen seines Antrags auf Genehmigung von Intensivpflege seine persönlichen, familiären und örtlichen Einzelheiten einschl. der gewünschten Wohnform gegenüber den Krankenversicherungen darzulegen und zu begründen, warum er die Versorgung in einer konkreten Wohnform wünscht. Ob es hierbei auf persönliche Wünsche ankommt oder diese auch durch amtliche Betreuer oder Bevollmächtigte geäußert werden können, ist bislang nicht geklärt. Problematisch werden daher zumindest all die Fälle sein, in denen der Versicherte zu einer eigenen Willensbekundung nicht in der Lage ist. Bei diesen käme es nach § 104 Abs. 2 SGB IX auf einen Kostenvergleich an, bei dem ein Leistungsort dann nicht mehr als angemessen gilt, wenn und soweit die Höhe der Kosten der dortigen Leistung die Höhe der Kosten für eine vergleichbare Leistung unverhältnismäßig übersteigen und der Bedarf nach dem persönlichen Einzelfall durch die vergleichbare Leistung ebenfalls gedeckt werden kann. Es steht zu befürchten, dass der vorgesehene Kostenvergleich von den Krankenkassen zum Anlass genommen wird, Versicherte mit fehlender oder eingeschränkter Kommunikationsfähigkeit auf zumeist für die Kostenträger günstigere, stationäre Versorgungen zu verweisen. Damit steht für entsprechende Personengruppen das Selbstbestimmungsrecht hinter dem finanziellen Interesse der Krankenkassen, was nicht hinzunehmen ist. Unabhängig von der Erkrankung und den eigenen Fähigkeiten, Wünsche äußern zu können, sollten alle Versicherten gleichbehandelt und deren bisheriger umfassender Anspruch auf häusliche Krankenpflege erhalten bleiben.

 

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